Eine besondere Gruppe für besondere Kinder im Kindergarten Siebenstein

 

Ausgerüstet mit Proviant und Rodelpfannen, sind die Löwenkinder im Wald angekommen. Die Hänge und Sandkuhlen des Lechlumer Holzes mit einem Baumhaus sind schon ein bekanntes und beliebtes Ziel. Sobald die acht Kinder und drei Betreuer ankommen, schnappen sich die Kleinen eine Rodelpfanne, rennen in großer Eile die Hänge hinauf und rutschen jauchzend wieder runter. Die Kinder sind eifrig, schwitzen, reden und schreien laut, ein wildes Durcheinander entsteht. Die drei älteren Kinder agieren zunehmend gemeinsam, die meisten der fünf jüngeren, die im August neu in die Gruppe kamen, eher für sich. Die Erwachsenen werden zum Mitmachen und Hinschauen oder zum Schlichten von Streitigkeiten, die von den Kindern möglichst selbst gelöst werden sollen, aufgefordert. Später wird es ruhiger. Das Austoben hat nachgelassen.

Seit Jahren steigt die Zahl der Kinder mit starken Defiziten im sozial-emotionalen Bereich. Im Siebenstein wurden diese Kinder zunächst auf alle vorhandenen Gruppen aufgeteilt. „Kognitiv sind sie den anderen voraus, doch ein gemeinsames Spielen und Lernen mit anderen Kindern ist nicht möglich. Sie können ihre Fähigkeiten nicht richtig einsetzen, sind aggressiv oder auch introvertiert“, erklärt Bartholomäus. „Zur Zeit vor Einführung der Gruppe wiesen zehn Prozent diese Auffälligkeiten auf. Ein Konzept wurde erarbeitet, das den Fähigkeiten und dem Förderbedarf der Kinder gerechter wird.“

 

Die acht Kinder – die übliche Gruppenstärke beträgt sechs – werden von zwei pädagogischen Fachkräften sowie einem Jahrespraktikanten betreut und  durch den Psychologen der Einrichtung begleitet. Zusätzlich wird die pädagogische Arbeit regelmäßig mit einer externen Supervisorin reflektiert. „Für die Betreuer ist es eine schwierige Aufgabe. Doch wir werden wohlwollend von allen Seiten unterstützt“, unterstreicht die Siebenstein-Leiterin. Vor der Entscheidung für eine Modellgruppe fanden zahlreiche Diskussionen im Mitarbeiterkreis statt. Ein gemeinsamer Studientag brachte dann das Ergebnis für den Start des Projektes. „Auch Kinderärzte, Vertreter des Gesundheitsamtes, des Jugendamtes, der Erziehungsberatungsstelle und die Fachberaterinnen der Kitas in und um Wolfenbüttel wurden über das Vorhaben informiert“, sagt Bartholomäus.

Einen klar strukturierten Tagesablauf und grundsätzliche Förderziele gibt es bei den „Löwen“ ebenso wie bei den anderen Siebenstein-Gruppen. Der pädagogische Schwerpunkt allerdings liegt in der Verbesserung der emotionalen Stabilität und der Identitätsfindung. Gefühle und Konflikte stehen im Vordergrund. Beim Lernen und Experimentieren ist das Niveau höher als in anderen Gruppen, trotzdem hat die Löwengruppe keinen „Inselstatus“. So besteht neben der täglichen Begegnung mit allen anderen Kindern auf dem Außengelände ein regelmäßiger Kontakt mit der Nachbargruppe. Beim wöchentlichen gemeinsamen Frühstück und anschließendem Spielen lernen die „Löwen“ auch, mit Schwächeren umzugehen und von deren Stärken im sozial-emotionalen Verhalten zu profitieren. Eine weitere Besonderheit im Siebenstein stellen die wöchentlichen heilpädagogischen Reitstunden für Kinder mit dem eigenen Therapiepferd dar. Auch diese Reitstunden fördern das Miteinander.

Neben der Förderung der Kinder wird auch der Einbezug der Eltern im Lebenshilfe-Kindergarten groß geschrieben. „Wir führen regelmäßig Elterngespräche und empfehlen bei Bedarf geeignete Beratungsstellen, an die sie sich wenden können. Auch an Elternabenden findet ein Austausch statt“, berichtet Bartholomäus. Entsprechend positiv fällt die Resonanz der Eltern aus: „An den Elternabenden hat man gemerkt, dass man mit seinen Sorgen nicht alleine ist“, sagt beispielsweise Kerstin Wisse. Ihr Sohn Mirco besucht noch ein weiteres Jahr die Löwengruppe. „Wir haben aufgrund seines Verhaltens viel durchgemacht. Doch dank des Kindergartens hat er viele Fortschritte gemacht. Ich bedanke mich herzlich bei Frau Bartholomäus für die schnelle Aufnahme.“

Auch Nadine Focht, Mutter von zwei Kindern, zeigt sich zufrieden: „Mein Jüngster, Marian, besucht die Gruppe und ist seitdem sehr ausgeglichen. Mein älterer Sohn, Fabian, zeigte genau dieselben Auffälligkeiten. Er hatte nicht die Möglichkeit, so ein Angebot anzunehmen. Er hat uns damals sehr ausgelaugt.“ Doch für viele Eltern ist es nicht leicht, ihr Kind in einen Kindergarten der Lebenshilfe zu geben. „Es ist schwer, mit dem Unverständnis der Außenwelt zu leben. Es wird viel geredet, das hat mich anfangs kaputt gemacht“, berichtet Focht. Wie schwer die Entscheidung auch gewesen sein mag, am Ende sind doch alle sehr zufrieden mit dem Ergebnis. „Ich freue mich, dass  Marian  in den Siebenstein gehen konnte. Damals hatte er seine Kräfte nicht unter Kontrolle. Jetzt kann er mit anderen Kindern spielen“, sagt Focht.

Nach dem Kindergarten wartet die Einschulung. „Siebenstein hat super vorgelegt. Mein Sohn Jannis hat sich nach einer Woche in der Sprachheilklasse bereits unterfordert gefühlt und hat zusätzliche Aufgaben erhalten“, freut sich  Jasmin Solik. Die meisten Kinder haben weiterhin noch einen besonderen Förderbedarf. „Das, was die Kinder am Ende des Kindergartens mitnehmen werden, ist eine gestärkte soziale Kompetenz und mehr emotionale Stabilität sowie das Selbstvertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten“, erklärt Bartholomäus.