Am Samstag ist Tag der Menschen mit Behinderung: Zwischenbilanz des FBI.
Wolfenbüttel. Am 3. Dezember jährt sich der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung – ein passender Anlass für die Lebenshilfe Helmstedt-Wolfenbüttel, auf ein Projekt hinzuweisen, das seit einiger Zeit richtig Fahrt aufgenommen hat: Es geht um den Fachdienst zur betrieblichen Inklusion (FBI). Das Team von Dajana Weidemann vermittelt Menschen aus den Lebenshilfe-Einrichtungen in Praktika, in betriebsintegrierte Arbeitsplätze oder sogar als Festangestellte in den sogenannten ersten Arbeitsmarkt. Und mit dem Projekt sollen Menschen mit Behinderungen, vor allem diejenigen, die nicht in eine Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) gehen möchten, besser in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden.
„Im Grunde hat es eine solche Vermittlungsstelle bei uns schon seit vielen Jahren gegeben“, erzählt Katrin Benda. Die Sozial-Pädagogin war seit 2013 beim Qualifizierungs- und Vermittlungsdienst tätig. „Doch seit die Aktion Mensch unser Projekt unterstützt, konnten wir auch für Menschen außerhalb der Lebenshilfe ganz neue Strukturen schaffen.“ 2020 entstand der FBI und gilt seitdem unter dem Dach der Lebenshilfe als eigenständiger Bereich, als eine Art ambulante Werkstatt. „Wir sind zu dritt für die Standorte Wolfenbüttel und Helmstedt zuständig“, sagt Christian Kortegast, der Inklusions-Assistent.
Das Trio spricht dabei gern von „Teilnehmenden“, wenn es um Vermittlungsversuche geht. Schließlich sei es ein freiwilliges Angebot, zu dem sich nicht jeder entschließen mag. Es setzt ein gewisses Maß an Selbstvertrauen und Lust auf Neues voraus – wer auf neue Erfahrungen keine Lust hat, bleibt dann lieber im Arbeitsbereich der Lebenshilfe. „Genau um dieses Interesse geht es in unseren Vorgesprächen“, schildert Dajana Weidemann. Oft ist nicht klar, wo die Reise hingehen soll. Der FBI helfe dann bei der persönlichen Zukunftsplanung und der beruflichen Orientierung. „Dazu müssen wir die jeweiligen Talente entdecken und fördern. Um sich langfristig im neuen Arbeitsumfeld zu behaupten, bieten wir Kompetenztraining und Kurse zur Persönlichkeitsstärkung an.“
Durch individuelles Coaching können Probleme rechtzeitig erkannt und besprochen werden. Zukünftig werden betriebliche Lernmodule erarbeitet, welche sich auf bestimmte Tätigkeiten oder einen abgegrenzten Arbeitsbereich beziehen. „Wer unsere begleiteten Firmenpraktika absolviert, hat oft ein längerfristiges Interesse auf einen der betriebsintegrierten Arbeitsplätze (BIAPs).“ Oder will die Lebenshilfe ganz verlassen und mit dem Budget für Arbeit (BfA)* einen normalen Arbeitsvertrag unterschreiben.
„Aber selbst danach reißt der Kontakt nicht ab“, versichert Katrin Benda. „Wenn es gewünscht ist, bleiben wir auch weiterhin Ansprechpartner für die Teilnehmenden, damit Krisen gar nicht erst ausbrechen können.“ Denn solche Krisen gebe es natürlich – bei Menschen mit Behinderung ebenso wie bei solchen ohne. „Wer hatte nicht schon mal Probleme am Arbeitsplatz?“
Doch bislang hat der junge Fachdienst noch alles in den Griff bekommen. Was erstaunlich ist, wenn man einen Blick auf die Gruppe der Teilnehmenden wirft: Sie ist alles andere als homogen. „Bei uns melden sich Inklusionsschüler ebenso wie solche, die bis 20 in einer Förderschule waren.“ Auch Ältere gehören dazu, die beispielsweise erst durch ein Burn-Out oder durch ein hartes Mobbing einen Bruch erlebt haben und zur Lebenshilfe kamen. „Sie haben sich bei uns stabilisiert und wagen nun wieder den Schritt nach draußen.“
Die Frage der Motivation stellt sich für das engagierte Trio überhaupt nicht. „Wir betreuen hier zwar eine bunte Mischung, aber alle haben ihre Ziele im Leben“, erklärt Christian Kortegast. Jeder wolle etwas erreichen und sei hochmotiviert – vielleicht sogar motivierter als manch anderer Lehrling, der heute von der Schule komme. Die Teilnehmenden des FBI weisen ganz unterschiedliche Beeinträchtigungen auf. „Aber, wenn sie im Betrieb eine Bindung zu den Kollegen finden, kann da etwas Tolles draus werden.“
Damit die Vermittlung nicht zum Stillstand kommt, werden regelmäßig weitere Betriebe gesucht. Es geht um Praktika und Arbeitsplätze, beliebt sind Möglichkeiten im sozialen Bereich, wie Kita und Altenpflege, aber auch Einzelhandel und Industrie stehen hoch im Kurs. „Viele würden auch gern etwas mit Tieren machen.“
Die finanziellen Fördermöglichkeiten für teilnehmende Betriebe sind reizvoll. Das Budget für Arbeit ermöglicht bei sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen einen regelmäßigen Lohnkostenzuschuss von bis zu 75 Prozent vom Bruttolohn. Neben der bundesweiten Förderung hat Niedersachsen sogar einen eigenen Fördertopf. „Was der Arbeitgeber bezahlen muss, richtet sich nach dem zukünftigen Arbeitnehmer. Darum müssen wir diese Unterstützung je nach Einzelfall mit den Betrieben besprechen.“
Am Beginn jeder Beschäftigung steht jedoch ein Praktikum, stellt Dajana Weidemann klar – und wirbt um Arbeitgeber: „Melden sie sich, probieren sie es aus, es kostet nichts, wir unterstützen dabei“. Darüber hinaus bringen viele Menschen einiges mit, das es bei Berufsanfängern sonst nicht gibt, meint Katrin Benda.
Aus Wolfenbüttel:
Als Beispiel führt sie Sarah Janson an, die derzeit in der Küche des Kindergarten Siebenstein tätig ist: „Sie würde gern wieder in einer Großküche arbeiten.“
Die 32-Jährige hat schon einige Erfahrung gesammelt, war vier Jahre in einer Festanstellung. „Durch meine Schwangerschaft bin ich dort zwar raus, würde aber gern wieder daran anknüpfen.“ Tempo, Hektik und der Zwang, pünktlich abzuliefern in der Großküche, all das störe sie nicht. „Damit komme ich gut klar, auch mit dem teils rauen Umgangston. Spätestens wenn alle Essen verteilt waren, haben sich alle Kollegen als nett und umgänglich herausgestellt.“
Das trifft ganz sicher auch auf Sarah Janson zu. Wer ihr ein Praktikum oder einen Arbeitsplatz ermöglichen möchte oder auch andere Mitarbeiter sucht, kann sich beim FBI der Lebenshilfe unter 0157/790 171 33 melden.
Aus Helmstedt:
„In unserer Verwaltung in Helmstedt haben wir dringend Unterstützung gebraucht und wollten jemanden aus der WfbM für unsere Arbeit gewinnen“, sagt Nancy Kriependorf und freut sich mit ihren Kolleginnen, dass nun Alina Westphal die interne Post und den Versand übernommen hat. „Ich habe mich da beworben. Vorher war ich in der WfbM-Tischlerei und habe Teile für Pianos hergestellt. Jetzt kann ich im Büro arbeiten“, schmunzelt die Mutter dreier Kinder. „Und ganz nebenbei“, bemerkt Jana Rößner, „dolmetscht Alina für unsere aus der Ukraine geflüchteten Bewohner, die in unseren Wohnungen am Batteriewall untergekommen sind.“
So wie Alina Westphal, arbeiten schon einige Menschen mit Beeinträchtigungen in einer eigens für sie geschaffenen Nische. Wer also gerne auch mal einen Praktikumsplatz anbieten möchte, oder seine Arbeit neu organisieren muss, weil er zu wenig Mitarbeiter/innen hat, kann sich beim FBI der Lebenshilfe unter 0157/790 171 33 melden.
* Das Budget für Arbeit ist eine Eingliederungshilfe-Leistung und richtet sich an Menschen, die Anspruch auf eine Beschäftigung im Arbeitsbereich einer WfbM haben. Ziel des Instruments „Budget für Arbeit“ ist es, die Beschäftigungs-Chancen von Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erhöhen und die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit zu unterstützen.
Gesetzlich verankerter Leistungsrahmen:
- Lohnkostenzuschuss, der bis zu 75 Prozent des vom Arbeitgeber oder der Arbeitgeberin regelmäßig gezahlten Arbeitsentgelts beträgt
- Aufwendungen für die wegen der Behinderung erforderliche Anleitung und Begleitung am Arbeitsplatz
- Gehalt orientiert sich an der ortsüblichen Entlohnung oder einem Tarifvertrag
Zusätzlicher Niedersächsischer Leistungsrahmen:
- Übernahme von Fahrtkosten zur Arbeitsstelle in Härtefällen
- Zuschuss von monatlich 250 Euro an Arbeitgebende, die die gesetzliche Beschäftigungsquote bereits erfüllen oder dieser nicht unterliegen
Nachzulesen hier in dieser pdf-Broschüre