Monika Held büxte gerne aus

„Ich bin froh, dass ich jetzt endlich zu Ruhe komme‟, sagt Monika Held, wenn sie auf ihr Leben zurückblickt, von dem sie fast 30 Jahre gegen ihren Willen im Landeskrankenhaus Königslutter teilweise auf geschlossenen Stationen verbrachte. Dem Euthanasie-Programm der Nazis, dem unzählige Menschen mit Behinderungen zum Opfer gefallen sind und an die jetzt am 27. Januar ein bundesweiter Gedenktag erinnerte, ist die jetzt 75-Jährige glücklicherweise knapp entkommen.

Ihre Lebensgeschichte hielt dennoch einige Rückschläge bereit. „Meine Eltern mussten mich im Spind verstecken‟, erinnert sich die heute 75-Jährige an ihre früheste Kindheit Anfang der 1940er Jahre. Nach ihren Angaben sei sie auf dem Kasernengelände im Nordosten Wolfenbüttels aufgewachsen – dem Exer. „Damit ich nicht schrie, hatte mir meine Mutter immer eine Flasche gegeben‟, so Held.  Die Fragen-stellenden Offiziere haben die Eltern konsequent belogen.

Nach dem Krieg sei die Familie dann nach Vallstedt und kurz darauf nach Bettmar gezogen. Dort habe die Familientragödie begonnen. Monika Held zeigte einige Verhaltensauffälligkeiten und hatte die Tendenz fortzulaufen. „Ich bin immer gerne ausgebüxt‟, sagt sie heute noch immer mit einem neckischen Blick. Ihr Vater sei gewalttätig gewesen – ein Umstand, den Held auf dessen Kriegsgefangenschaft in Russland zurückführt. Die kurze Zeit, die Monika Held an einer öffentlichen Schule verbrachte, ist in ihrer Erinnerung mit dem überforderten Vater verbunden. „Einmal hat er mir auf dem Schulhof ins Gesicht geschlagen‟, berichtet Held. Die Lehrer hätten zwar versucht einzugreifen, doch sie waren chancenlos.

Monika Held zeigt Axel Koßmann Fotos aus ihrer Kindheit und Jugend, die sie in einem Album gesammelt hat.

 

„Unruhe, störrisches Verhalten, Neigung zum Herumstreunen‟ – so lautete damals die Diagnose für Monika Held. Ab 1951 – sie war elf damals Jahre alt – verbrachte sie fünf Jahre in den Neuerkeröder Anstalten und der dortigen Förderschule – auf Anweisung des Vaters. Eine öffentliche Schule sollte sie nicht wieder besuchen. Zudem habe sie der Pastor aus dem Konfirmationsunterricht verbannt, was sie noch heute sehr belastet.

 

Dann entwickelte sie laut ärztlichem Bericht neben ihrer Diagnose „Minderbegabung vom Grade eines Schwachsinnes‟ zusätzlich „Verstimmungs- und Erregungszustände‟, in deren Folge sie viele Jahre im Landeskrankenhaus Königslutter verbringen musste und dort mit Unterbrechungen zunächst bis 1971 blieb. „Ich bin immer abgehauen – in den Elm‟, sagt Monika Held. Nach solchen Ausflügen ging es für sie oftmals direkt auf eine geschlossene Station, wo sie hin und wieder festgebunden wurde. Doch auch hier setzte sich ihr Freiheitsdrang durch. „Einmal habe ich mich aus einer Zwangsjacke befreit und bin abgehauen‟, berichtet sie stolz. Bei einem kurzen Aufenthalt in Freiheit ist sie schwanger geworden und hat einen Sohn zur Welt gebracht, zu dem sie noch heute Kontakt hält.

Ab 1971 ging es dann für die Wolfenbüttelerin wieder ins Landeskrankenhaus – doch dieses Mal in den Langzeitbereich. Bis 1988 war sie dort teilweise auf geschlossenen Stationen untergebracht. In den Jahren hat sie fast täglich Beruhigungsmittel bekommen.  Andere Patienten hätten Elektroschock-Therapien bekommen, will Monika Held in dieser Zeit beobachtet haben. „Eine ist nicht wieder aufgewacht‟, erzählt sie. Während ihres Aufenthalts hat sie in der Putzkolonne der Klinik gearbeitet und sich so etwas Geld verdient. „Ich habe mir gerne Schmuck und Kleidung aus Katalogen bestellt‟, erinnert sich die Rentnerin.

 

 

Monika Held ist als junge Frau immer wieder davongelaufen.

 

 

 

Die Unterbringung in den einzelnen Anstalten ordnete der Vater als Monikas Vormund alle zwei Jahre aufs Neue an. So sah es das Gesetz vor. Dabei habe der Vater selbst gegen den ärztlichen Rat gehandelt. Auch Pfleger und Verantwortliche der Klinik hätten Helds Vater immer wieder gesagt, dass sie in einem Wohnheim besser aufgehoben sei. Das Betreuungsrecht wurde dann 1992 grundlegend geändert. Seitdem kann der Vormund eines Menschen mit einer geistigen Behinderung  nur noch über einzelne Lebensbereiche bestimmen – etwa die Finanzen.

Häufiger habe der Vater auch – so erzählt es Monika Held – versucht, die Pfleger dazu anzustiften, sie zu schlagen. Erst mit dem Tod des Vaters eröffnete sich für Monika Held ein neues Leben. Ab 1984 arbeitete sie in der Werkstatt der Lebenshilfe Helmstedt. Seit 1988 lebt sie im Wolfenbütteler Lebenshilfe-Wohnheim. Seit 2006 lebt sie dort als Rentnerin. „Wir haben inzwischen eine Tagesstruktur für Rentner eingerichtet‟, erklärt Axel Koßmann vom Sozialdienst der Lebenshilfe. Dieses Angebot werde erst seit kurzer Zeit nachgefragt. Rentner mit geistigen Behinderungen habe es bisher nicht viele gegeben, weil diese Generationen dem Nazi-Regime zum Opfer gefallen sind.

„Hier fühle ich mich wohl‟, sagt Monika Held über das Lebenshilfe-Wohnheim. Rückblickend stelle sie sich stets die Frage nach dem warum. Irgendwann in den 80er Jahren habe ihre Mutter ihr gesagt, dass sie seit Geburt behindert sei, sagt Monika Held. Das reicht ihr allerdings nicht als Antwort.

Als Kind wurde sie von ihren Eltern vor den Nazis versteckt.