Die Lebenshilfe Helmstedt-Wolfenbüttel hat sexuellen Übergriffen den Kampf angesagt. Systematische Informationen und präventive Maßnahmen auf allen Ebenen der Organisation lautet die viel versprechende Strategie. Also verwundert es auch nicht, dass sich die „Arbeitsgruppe zur Verhinderung sexueller Gewalt“ aus Sozialpädagogen, Psychologen, Werkstatt- und Wohnheimleitern zusammensetzt.
„Man hört immer wieder von sexueller Gewalt in Einrichtungen. Wieso sollte das nicht auch bei uns passieren“, fragt sich Ulrike Werner, Psychologin der Lebenshilfe und Mitglied der AG. Eine aktuelle Studie der Universität Bielefeld (Schröttle, Hornberg et al.) im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Frauen, Senioren und Jugend stellt in ihrem Ergebnis fest, dass insbesondere Frauen mit Behinderungen bislang unzureichend vor körperlicher, sexueller und psychischer Gewalt geschützt sind. Daher hat sich im letzten Jahr diese Arbeitsgruppe gebildet, die fortlaufend Standards und Maßnahmen erarbeitet.
Ein solcher Standard ist beispielsweise: Das Thema sexuelle Gewalt muss auf allen Ebenen der Lebenshilfe systematisch behandelt werden. Nur so schafft man überhaupt erst ein grundsätzliches Bewusstsein
Es soll jedem klar sein, was sich hinter sexueller Gewalt verbirgt. Das bedeutet: Mitarbeiter/innen, Beschäftigte, Bewohner/innen in den Wohnheimen und in den Außenwohnstellen müssen dementsprechend aufgeklärt werden und sich fortbilden. „Sexuelle Übergriffe können in der Vergangenheit oder aktuell, durch Außenstehende, zwischen den Beschäftigten innerhalb von Partnerschaften oder sogar zwischen den Mitarbeitern stattfinden“, zählt Werner auf. Ebenso verhielten sich Beschäftigte oder Bewohner den Mitarbeitern gegenüber nicht immer korrekt, erklärt die Psychologin die vielschichtigen Szenarien.
Sabrina Schulze (links) und Ulrike Werner erarbeiten in der Arbeitsgruppe Standards zum Umgang mit sexueller Gewalt.
„Jeder sollte sofort wissen, an wen er sich im Falle eines Übergriffs wenden kann“, so Werner. Informationen über kompetente Ansprechpersonen, örtliche Beratungsstellen und andere Hilfsangebote sollte jeder Mitarbeiter/innen der Lebenshilfe kennen und die Informationen auch in einfacher Sprache für die Beschäftigten zugänglich sein. Das Thema auf allen Ebenen umzusetzen bedeutet aber auch, eine grundsätzliche Stellungnahme in den Leitlinien und in der Werkstattordnung festzuhalten. Dort steht inzwischen explizit, dass alle Mitarbeiter/innen und Beschäftigte sexuelle Gewalt entschieden ablehnen.
Bei Beschäftigten mit geistiger oder psychischer Behinderung sei es oft zunächst notwendig, ins Gespräch zu kommen, eine Sprache zu finden und ein Bewusstsein zu vermitteln, wo sexuelle Gewalt anfängt. „Sie müssen ihre Grenzen kennen und lernen, nein zu sagen“, erklärt Werner.
Schon lange gibt es einzelne sehr gute Projekte und arbeitsbegleitende Angebote in der Lebenshilfe Helmstedt-Wolfenbüttel. Herauszuheben ist sicherlich der in Helmstedt mit dem Freizeitpädagogen Rolf Kaufmann entstandene Film „Und dann auch noch Liebe…– Ein Kurzfilm über Erfahrungen junger behinderter Menschen mit der Liebe“ (in Zusammenarbeit mit Andreas Buhr Filmproduktion).
Diese Bemühungen, auch in Zusammenarbeit mit anderen Stellen, wie z.B. pro familia, der Beratungsstelle gegen sexuellen Missbrauch in Helmstedt oder dem Arbeitskreis gegen sexuelle Gewalt in Wolfenbüttel, sollen weitergeführt, intensiviert und in ein Gesamtkonzept eingefügt werden.
Sabrina Schulze vom Sozialdienst in den Wolfenbütteler Werkstätten, ist ebenfalls in der Arbeitsgruppe vertreten. Sie erklärt, dass es auch für die Gruppenleiter/innen wichtig sei in diesen Fragen geschult zu werden. „Diese Mitarbeiter müssen einen professionellen Umgang lernen, damit sie nicht in Panik geraten, wenn ihnen etwas berichtet wird oder sie etwas beobachten.“ Die Arbeitsgruppe hat daher einen Leitfaden für alle Mitarbeiter erarbeitet. Kurz und prägnant erklärt dieser Flyer, was zu tun ist, wenn eine Vermutung auf sexuellen Übergriff besteht. „Ruhe bewahren“ heißt es dort unter anderem. Solchen Fälle müssen genau aufgeklärt werden. Wichtig sei es in diesem Zusammenhang auch, dass alle eine gemeinsame Sprache finden und Grenzbereiche sowie Definitionen kennen. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen müssen befähigt werden kritische Situationen zu erkennen, mit Verdachtsfällen und Fällen erfolgter sexueller Übergriffe kompetent umzugehen sowie Möglichkeiten der Aufarbeitung kennen.
„Prävention ist das oberste Ziel“, erklärt Werner. Auch auf der Leitungsebene muss das Thema ankommen. „Sexuelle Gewalt wird nicht geduldet: Dieser Grundsatz sollte auch alle strategischen Entscheidungen und die Organisation der Lebenshilfe begleiten“, fordert die Arbeitsgruppe. Es müsse eine Sensibilität entstehen. „Das Thema muss immer lebendig gehalten werden“, so die Psychologin. Dann würde die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von sexueller Gewalt sinken.
„Wir haben anfangs sofort grünes Licht von allen Ebenen bekommen“, schildert Werner die positive Resonanz auf das Projekt. Auch der Werkstattrat der Beschäftigten habe) großes Interesse bekundet. Dieses Jahr sind bereits Fortbildungen für alle Mitarbeiter geplant. Einzelne Mitarbeiter haben sich sogar bereit erklärt, sich in diesem Bereich als besondere Ansprechpersonen intensiver schulen zu lassen.
„In unserer Zukunftsvision arbeiten speziell geschulte Beschäftigte und Bewohner/innen Seite an Seite mit ebenfalls geschulten Gruppenleitern/ Gruppenleiterinnen, um so kurze und direkte Kommunikationswege für Betroffene zu schaffen. Jeder Mitarbeiter/in, Beschäftigte und Bewohner/in ist informiert über Hilfeangebote sowohl intern als auch extern und, dass bei uns nicht nur sexuelle Gewalt sondern jegliche Art der Gewalt nicht toleriert wird „so Schulze und Werner.