Protestbrief an von der Leyen

 

Der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Ursula von der Leyen, soll in Kürze eine große Kiste Post bekommen. Die bringt allerdings nicht der Briefträger vorbei, sondern Werner Reimer vom Elternbeirat der Lebenshilfe Wolfenbüttel.
Grund dafür ist das Gesetz zur Festlegung der Regelbedarfssätze und die Einführung der neuen Regelbedarfstufe 3. Diese gilt "für eine erwachsene leistungsberechtigte Person, die weder einen eigenen Haushalt führt noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führt." Und damit auch für behinderte Menschen ab 25 Jahren, die noch im Elternhaus wohnen.
Durch die Festlegung der Regelbedarfstufe 3 erhalten sie seit Jahresbeginn nur 291 Euro als monatliche Grundsicherung. Im Gegensatz dazu erhalten nichtbehinderte Menschen den vollen Regelsatz in Höhe von 364 Euro. "Diese offensichtliche Ungleichbehandlung stößt bei vielen Menschen auf Unverständnis. So auch bei mir", schreibt Werner Reimer an die Bundesministerin.

 

"Diese Festlegung ist mit der Verfassung einfach nicht vereinbar. Dort steht in Artikel 3 des Grundgesetzes, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind und niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf."
Nachdem der Elternbeirat das Thema besprochen hatte, entschied sich der 59-jährige Wolfenbütteler, nicht bloß darüber zu klagen, sondern aktiv zu werden. Er verfasste ein Protestschreiben, in dem er die Gleichbehandlung behinderter und nicht behinderter Menschen fordert – so, wie es die Verfassung und auch das Bundessozialgericht vorsieht. Denn dieses hatte bereits in einem Urteil vom 19. Mai 2009 erklärt: Es gibt keinen Grund für ein unterschiedliches Existenzminimum für beide Gruppen, also Empfänger von Leistungen nach SGB II beziehungsweise SGB XII.
"Wir werden die große Politik nicht ändern. Aber wenn wir einen kleinen Teil ändern, der zu einer gerechteren Behandlung von Menschen mit Behinderung beiträgt, dann hätten wir unser Ziel erreicht", sagte Werner Reimer. Darum holte er sich Verstärkung, verteilte sein Schreiben nicht nur bei Bekannten und Eltern, deren Kinder zur Lebenshilfe Helmstedt-Wolfenbüttel gehören, sondern schrieb auch E-Mails an die bayrische Lebenshilfe.
"In der Zwischenzeit ist die Idee auch schon in anderen Regionen Deutschlands aufgegriffen worden, beispielsweise im Saarland und in Rostock", schildert Reimer. Auch der Landesvorstand der Lebenshilfe habe bereits seine Unterstützung zugesagt. Reimer wünscht sich, dass noch viele Menschen mehr der Idee folgen. Durch eine Veröffentlichung in der bundesweit erscheinenden Lebenshilfe-Zeitung sollten weitere Befürworter des Protests aufgetan werden.
Reimer selbst hat eine behinderte Tochter, die aber noch nicht von der Regelbedarf-Festsetzung betroffen ist. Erst in drei Jahren wird sie 25. Nicht nur unmittelbar Betroffene sollten aktiv werden, wenn sie Unrecht erkennen, so Reimer. Er selbst geht mit gutem Beispiel voran. In einer E-Mail informierte er Ursula von der Leyen, dass er zwischen dem 24. und 28. Oktober nach Berlin fahren werde, um – so wünscht er es sich – ihr die gesammelten Briefe persönlich übergeben zu können.
Bislang habe er mehr als 400 Briefe in einer Kiste gesammelt, "60 bis 70 wurden bereits vorab nach Berlin geschickt und bis zur Übergabe werden hoffentlich noch einige hundert hinzukommen", hofft Reimer. "Die Integration beziehungsweise Inklusion behinderter Menschen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ist das Ziel vieler Parteien. Hier wird das Gegenteil praktiziert", steht im Schreiben an die Bundesministerin. Die soll nun Handeln, ebenso wie es Reimer getan hat.